„Wir haben jetzt auch dieses Dings 2.0“, Vortrags-Video

„Wir haben jetzt auch dieses Dings 2.0“ – Die Große Transformation zur Webgesellschaft from Gerald Fricke on Vimeo.

Vortrag Dr. Gerald Fricke beim Convention Camp, Hannover 27.11.2012, siehe auch hier

Was bedeutet die „Große Transformation“ zur Webgesellschaft für die Unternehmen, die Demokratie und unser „kommunikatives Handeln“, welche neuen Formen der Zusammenarbeit entstehen? Oder anders gefragt: Wenn Habermas Twitter ist, warum ist dann Luhmann Facebook und was sagen Ihr freundlicher Social-Media-Berater und Max Weber dazu? Und überhaupt: Wie postmodern ist eigentlich dieses Internet-Dings und warum finde ich Ihr Mittagessen nicht auf Foursquare?

Gerald Fricke, Politikwissenschaftler (Dr. rer. pol.), forscht am Institut für Wirtschaftsinformatik (TU Braunschweig) zur Webgesellschaft und hat den satirischen Ratgeber „Dienstanweisung Internet“ geschrieben.

Mit dem Volksporsche in die 80er

Gerald Fricke: Der Volksporsche. Auftritt bei „Bohlweg-Zeiten. Die 80er in Braunschweig“, Buchhandlung Graff, Braunschweig, 8. Oktober 2012.

Die Goldenen Siebziger – Ein notwendiges Wörterbuch

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Vor 15 Jahren, im Juli 1997, ist unser erstes satirisches Wörterbuch erschienen, die Mutter aller komischer Wörterbücher, das Original, der Klassiker, der mit der Goldkante. Das Gute daran: Es ist immer noch alles darin gültig, wie mir der TüV Nord erst neulich bestätigt hat!

Gerald Fricke, Frank Schäfer, Rüdiger Wartusch: Die Goldenen Siebziger. Ein notwendiges Wörterbuch, Reclam-Leipzig 1997.

Zum Geleit

 

Abgestumpft durch die zynischen Achtziger, angeödet und nervös in den Mülltrennungs-Neunzigern, denken wir mit Wehmut an die schönen Tage mit Wicki und Pan Tau zurück; sonnige Nachmittage im Rekordhitze-Heidewaldbrand-Sommer 1975 („Ein Bett im Kornfeld“), an denen wir eigentlich draußen spielen sollten. Den verzweifelten jungen Menschen, die heute mit Schlaghosen umherziehen und billigstem Schlagerrecycling frönen, wollen wir ein bißchen Glanz aus erster Hand über diese Epoche vermitteln. Wir möchten jungen Menschen zeigen, daß es die Lieder der Augsburger Puppenkiste schon lange vor dem Techno-Radau und vor Helmut Kohl schon Bundeskanzler gab, daß es sintemal Zeiten gab, in denen nicht ein biederer Dieter Eilts Star einer Fußball-EM werden konnte, sondern Günter Netzer – und ein Katsche Schwarzenbeck sogar Weltmeister (1974). Denn das ist die Siebziger-Dialektik: Reformpolitik (These) und Radikalenerlaß (Antithese) bedingen ebenso einander wie Netzers Pässe und Katsches Grätschen, wie Neue Subjektivität und Hausfrauenlyrik, Autofreier Sonntag und SPD-Wahlspots, in denen der Autobahnbau als das Signum für Fortschrittlichkeit herhalten mußte. Die große sozialdemokratische Synthese, zugleich Leitmotiv der Autoren, bildet schließlich folgender Satz: „Ich habe nichts gegen lange Haare, aber gepflegt müssen sie sein.“ Oder, mit anderen Worten: Wenn 1968 für die anvisierte Revolution steht, dann markieren die Siebziger den Versuch, die Bahnsteigkarte zu lösen.

Aber auch Ihr, die Ihr damals jung und crazy wart und – aus dem Taschengeldalter heraus – erste Bilanzen zu ziehen beginnt, mal hergehört! Viele Menschen um die Dreißig sind heute Premiere-Abonnenten, tragen geschmacklose Telefone mit sich herum und müssen sich fragen lassen, was sie bloß falsch gemacht haben in ihrem langweiligen Leben. Wir nehmen diese armen Menschen an die Hand und führen sie zurück in ihre Jugend, in die gute alte Zeit.

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Eine allzu rigide Periodisierung tut nicht not; es geht vielmehr darum, die Siebziger als e
in kulturelles Paradigma, als breites Spektrum des gesellschaftlichen Lebens zu begreifen. Es gibt – bei aller Heterogenität – einen ganz spezifischen Siebziger-Stil. Jede amerikanische Polizeiserie, jede Disco-Sendung mit Ilja Richter, jeder Quelle-Katalog läßt sich auch vom ungeübten Betrachter sehr zuverlässig zeitlich einordnen – dergleichen kann man von den folgenden Jahrzehnten schwerlich behaupten.

Entsprechend sind ausnahmslos alle Bereiche des Lebens, in akkurater alphabetischer Ordnung, nachschlagsbereit abgehandelt: Hochkultur (Sex Pistols), Fernsehen (Dalli Dalli), Disco (Kiss), Mode (Haarnetz), Politik (Mao-Paule), Sport (Gold-Rosi), Technik (Jeans-Käfer, Römertopf) und Alltagskultur (Afri-Cola, Lichtorgel, Wohngemeinschaft). Ein junger Mensch schickt sich beispielsweise an, ein Tanzlokal zu beehren, in dem vieldeutig um „angemessene Kleidung“ ersucht wird – Jeansanzug, Gelb-Orange, Breitcord? Und die Konversation (Jägermeister, Pril-Blümchen, Sesamstraße)? Unser junger Freund kann sich auf das Wörterbuch, seinen Ratgeber, verlassen. Unser Dreißiger möchte nicht abseits stehen, er weiß natürlich mehr als der Jungspund, aber er hat auch viel vergessen, er muß bei dem einen oder anderen politischen Thema (Investitionslenkung, Staatsbankrott) nachschlagen. Besonders wurmt es ihn, in einen Siebziger-Diskurs verwickelt zu werden und bei kniffligen Details passen zu müssen: Wie teuer war das Dolomiti genau? Wann stieg der Benzinpreis erstmals über eine Mark? Warum um alles in der Welt trug man eine Herrenhandtasche? Wie rot dürfen Lehrer sein? Was hat uns das heute zu bedeuten? Unser Vademecum weiß die Situation zu entschärfen: Nachgeschaut und der Triumph ist sicher.
Daß hier und da möglicherweise Klischees skizziert werden, die mit der Daseinswirklichkeit einzelner Individuen nur begrenzt übereinstimmen – bon et bien, das liegt in der Natur der Sache. Dennoch meinen wir, daß sich Erinnerungen beispielsweise an die erste Stereokompaktanlage transzendieren lassen. Subjektive Erlebnisse intersubjektiv erfahrbar machen – eine honorige Aufgabe, der wir uns mit festem Willen stellen. Freilich wollen wir unser Lexikon nicht allein auf die Rolle eines Ratgebers – und Freundes – beschränkt wissen: Wir fühlen uns der Aufklärung verpflichtet und entlarven die Rolle der Bewußtseinsindustrie, die mit kaum zu überbietender Schamlosigkeit die Sehnsüchte vieler Menschen ausnutzt und billige Siebziger-Imitate auf den Markt wirft. Nicht mit uns! „Rainer, fahr ab!“

„Wirklich wunderbares Wörterbuch“ (Elmar Krekeler, Die Welt)
„Witzig und pointiert“ (Bunte)
„Sehnsucht nach der gemütlichen Enge“ (Patrick Bahners, FAZ)
„Die notwendigsten Leitbegriffe“ (Die Woche)
„Vergnüglich und gewiß notwendig“ (Frankfurter Allgemeine Magazin, 31.10.1997)
„Gestern Afri, heute Kult“ (Hamburger Abendblatt)
„Witzig-spöttelnd, ernsthaft und polemisch“ (Wochenschau, 1.2.1999)
„Jung und wild, frisch und sexy“ (Sonntagsblatt)
„Suzie Quatro und Meister Propper sind stolz auf Euch!“ (Gunther Schunk, Schmidt Würzburg)

Luhmann im Laborkittel, liebe Kinder, so sah Fernsehen in den Goldenen Siebzigern aus!

Großartiges Teil, Herr Luhmann im weißen Laborkittel. So sah Fernsehen in den Goldenen Siebzigern aus, zumindest in den Dritten Programmen. So. Bleibt nur noch die Frage, was wir jetzt machen, wo sich jeder Endverbraucher sein eigenes Internet-Programm zusammenstellt? In der Systemtheorie spielen Individuen keine Rolle, weil überhaupt und grundsätzlich die Möglichkeit subjektbezogenen Handelns ausgeschlossen wird. Wenn aber die Individuen keine Bedeutung haben, die Systeme nun einmal so sind, wie sie sind, und von außen nicht “gesteuert” werden können, warum sind sie dann so, und wer hat sie überhaupt geschaffen: Gott oder Luhmann?