Umweltpolitik in der Webgesellschaft

“Klimapolitik in der Webgesellschaft” – Vorlesung Gerald Fricke, 26.04.2013 (Präsentation mit Audio-Kommentar)

In der Vorlesung haben wir nach der Umweltpolitik in der Webgesellschaft gefragt. Am Beispiel der weltweiten Klimapolitik. Wir haben konstatiert: Um eben dieses Weltklima ist es nicht besonders gut bestellt, wenn sich die Staatenwelt darum kümmert. Noch immer gibt es keinen völkerrechtlich verbindlichen Weltklimavertrag. Vielleicht sollten wir also, wenn es um das Weltklima geht, nicht unbedingt und ausschließlich auf Abkommen in der Staatenwelt setzen, so meine Vermutung. Sondern auf neue, gut vernetzte Akteure und Bündnisse in der Webgesellschaft, Fragezeichen, Fragezeichen?

Klingt super, denkt Ihr, aber was bitteschön haben denn Klimapolitik und das “soziale Web” miteinander zu tun? Die gute alte Regulationstheorie würde sagen: Nicht viel, das fossilistische Akkumulationsregime aus Automobilisierung, Ölverbrauch und Luftverschmutzung bleibt im Kern unverändert, der aktuelle “hegemoniale Konsens” (Antonio Gramsci) lautet: Weiter so, aber bitte “nachhaltig” und mit verbrauchsärmeren Hybrid-Motoren oder “elektrisch”, mit Solarstrom.

Dieser Konsens bleibt umkämpft. Seit der Mensch “die Umwelt” erfunden hat, gibt es um ihre Nutzung gesellschaftliche Auseinandersetzungen. Durch den Zusammenschluss gesellschaftlicher Akteure und Promotoren einer Klimaschutzpolitik hat sich in den letzen Jahren, jenseits der staatlichen Gipfeltreffen, eine neue Klimaschutz-Dynamik entwickelt, verbreitet durch neue soziale Netzwerke und Plattformen im Internet. Immer mehr Konsumenten messen die Unternehmen an ihren PR-Versprechen; unternehmerische Verantwortung bedeutet nicht nur “Gutes tun und darüber reden”, sondern die Nutzer schon vor dem ersten Schritt zu fragen: Was heißt hier überhaupt “gut”? Warum nicht jemanden fragen, der sich damit auskennt: die Massen im Internet?

Die klimapolitische Weisheit der Massen

Die These von der “Wisdom of Crowds” würde, übertragen auf die Klimapolitik, bedeuten, dass die Massen möglicherweise “bessere” klimapolitische Lösungen anzubieten hätten, als die Experten aus Politik oder der Wissenschaft. Aber wofür steht diese Weisheit der Massen? Für einen allgemeinen Willen, den Volonté générale im Sinne Jean-Jaques Rousseaus? Wollen wir uns tatsächlich auf das Konstrukt einer allgemeinen klimapolitischen Weisheit einlassen, die es, unterstützt durch das soziale Web, nur noch zu “entdecken” gelte? Immerhin ist das gemeine Individuum, der Bürger, Verbraucher, Autofahrer, Netznutzer ein hybrides Wesen, ein “multioptionaler Kunde”, dessen ökologisches Wissen und umweltpolitisches Bewusstsein sich im Alltag durchaus einer individuellen Nutzenabwägung stellen lassen muss. Diese Nutzenabwägung steht ohne Frage gegen das utilitaristische Bewusstsein eines Gemeingutes “Weltklima”. Schärfer gesagt: Das Individuum weiß in der Regel selber nicht, was es will oder wollen soll, schon gar nicht, wenn es um die Umwelt geht.

Warum also sollte aus den widersprüchlichen individuellen Verhaltens- und Konsumweisen eine kollektive Weisheit erwachsen? Bestehende Internet-Plattformen, die Umwelt und Entwicklung zusammen bringen wollen, wie Karmakonsum (“Do Good With Your Money”) oder Reset (“Neustart für eine zukunftsfähige Welt”), bleiben auf dieser individuellen Ebene stehen, es geht vornehmlich um den Austausch von ökologischen Tipps für das Alltagshandeln.

Interpretieren wir das Web also nicht unbedingt und vorbehaltlos als Ausbund der Weisheit zum Umgang mit allgemeinen Gütern, sondern als ein Instrument, um das umweltpolitische Wissen und die Fähigkeiten der Massen zu erfassen und anderen Nutzern bereit zu stellen. Grüne Ideagoras und umweltpolitische Marktplätze im Internet könnten, so verstanden, das Wissen von Amateuren und Experten zusammenführen, klimapolitische Projekte vorstellen und die fortschrittlichen Akteure aus Industrie, Umweltschutzverbänden, politischen Entscheidungsträgern etc. vernetzen. Am besten weltweit. Aber können wir uns wirklich auf den Weltbürger im Kleinbürger (aka: Wutbürger) verlassen?

Klimaretten mit charismatischen Auskennern?

Eine andere normative Sicht auf das Web ergibt sich, wenn man das Web nicht als weltweite Graswurzeldemokratie oder allgemeines Wiki versteht, sondern als ein Medium zur zielgerichteten Auswahl von Inhalten und Experten. Wer sich mit eigenen Beiträgen, Kommentaren oder multimedialen Inhalten ins Netz begibt, der gestaltet das Netz auch mit. Um viele Marken und Produkte spannen sich Botschafter und Meinungsführer, sogenannte Mavens, zur Weiterverbreitung von Trends, Produktempfehlungen – oder, warum nicht, auch zur Rettung des Weltklimas.

Wer muss überzeugt werden, von Mavens, Meinungsführern und Auskennern? Die Entscheidungsträger der wichtigsten ökonomischen Global Player! Auf dass sich in diesen Unternehmen ein offenes, experimentelles, aus verzweifelt-froher Hoffungszuversicht gespeistes Klima entwickeln möge, dass die Helden der Nachhaltigkeit nach oben spült, an die Hebel der Macht. Dieser Gedankengang erscheint uns utopisch und undenkbar? Ja, mindestens so undenkbar und utopisch wie das Ende der bipolaren Weltordnung 1989/1991, ausgelöst durch den “zwangsfreiwilligen” Rückzug der Sowjetunion als Supermacht von der Weltbühne.

Wie aber lassen sich diese Allianzen schmieden? Entscheidende Bedeutung kommt der konstruktivistischen Frage zu, wie über Klimapolitik und das Web zukünftig gedacht wird, in den Unternehmen, der Politik – und, natürlich auch der Wissenschaft. Immer mehr Unternehmen, Konsumenten, Nutzer und Akteure eines Wandels nutzen die Möglichkeiten der Vernetzung und des sozialen Austausches – um sich besser zu fühlen, mehr zu verkaufen oder tatsächlich die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Aber lassen sich die vorherrschenden Widersprüche zwischen Nord und Süd, ungleicher Verteilung, Umwelt und Entwicklung, Ökologie und Ökonomie wirklich durch die Zauberformel einer „Nachhaltigen Entwicklung 2.0“ auflösen? Wohl kaum, aber warum nicht trotzdem damit anfangen, so die normative Conclusio.

Bleiben wir also positiv, denken wir dialektisch und utopisch, nutzen wir die Weisheit der Vielen, vernetzen wir uns mit Gleichgesinnten, machen wir die Promotoren gesellschaftlichen Wandels aus – und fangen wir damit heute einfach an, ganz konkret. Das Web bietet uns fantastische Möglichkeiten dazu.

Gerald Fricke

Gerald Fricke, 2001: Von Rio nach Kyoto. Verhandlungssache Weltklima: Global Governnace, Lokale Agenda 21, Umweltpolitik und Macht, Berlin.

Gerald Fricke, 2009: Primaklima mit Web 2.0? Klimaretten mit Nachhaltigkeits-Mavens und Öko-Gorbatschows; in: SPIEL 26 (2009) 2, 395-407. (Hier im Web, mit weiterführender Literatur)

Mein Gott, wir waren so crazy, gestern Abend!

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„Bohlweg-Zeiten. Die 80er in Braunschweig“ – Buch- und Anzugpräsentation in der Buchhandlung Graff zu Braunschweig, 8.10.2012.

So sieht es ein Wissenschaftler (Folge 53): "Facebook-Party"

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Ausschnitt aus: Jens Gräber: So bleibt die Facebook-Party privat, Braunschweiger Zeitung vom 25.9.2012, S. 14.

Hier mein Zitat in seiner ganzen Pracht:

Das Wort „Facebook-Party'“ als Synonym für aus dem Ruder laufende Sausen halte ich für Quatsch. Als 1965 die Waldbühne in Berlin von Halbstarken zerlegt wurde, anlässlich des Auftritts der Rolling Stones, hat man auch nicht „Bravo-Party“ gesagt, weil das Konzert da aufpeitschend angekündigt worden wäre. Oder wenn ältere Menschen von Trickbetrügern hereingelegt werden, dann heißt es in meiner Lokalzeitung auch nicht „Tatort Telefon“, sondern: Achtung, der „Enkeltrick“, bitte aufpassen! Schuld an den Verwüstungen in den Niederlanden sind gewalttätige Jugendliche, nicht Facebook. Die hätten das auch ohne Internet hinbekommen. 
Natürlich müssen wir bei einer Facebook-Veranstaltung prüfen, ob wir diese lieber nur „privat“ ankündigen. Wir werden aber das soziale Web nicht einzig und allein „privat“ nutzen können, das ist eine Illusion und widerspricht der Logik der Vernetzung. In einer kooperativen Webgesellschaft werden wir auch das Verhältnis von privat und öffentlich neu bestimmen müssen.
Das Beispiel mit dem „Enkeltrick“ hat die Zeitung leider nicht übernommen, sehr schade und fast ein bisschen unüberrraschend, aber dafür haben wir ja das Internet, Freunde!