„Blau-Gelb-Sucht“, Vorstellung und Lesung am 22.8.2013

Lesung: "Blau-Gelb-Sucht"Blau-Gelb-Sucht. Buch-Vorstellung und Lesung. 22.8.2013. Buchhandlung „Graff“, Braunschweig, Sack 15,  20:15 Uhr. 

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Kartenvorbestellung:  Beim Reiffer-Verlag oder Buchhandlung Graff.

"Dienstanweisung Internet", jetzt neu mit Kommentarfunktion!

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Kommentare, Ihre. Die Welt bleibt nicht stehen, natürlich, und so auch nicht das Internet. Die Wissenschaft hat daraus gelernt und vor einigen Jahren eine neue Form des Internet erfunden: das sog. Dschungelcamp 2.0. Hier zählt das Mitmachen! Auch mit unserer Dienstanweisung wollen wir uns diesem neuen Trend nicht verschließen, immerhin sind wir nicht „von gestern“!  Will sagen: Weil uns, dem Verlag und dem Autor, der Austausch mit Ihnen sehr wichtig ist, also quasi eine Herzensangelegenheit darstellt, haben wir auch eine praktische Kommentarfunktion zu jedem Artikel eingefügt.
Dazu gehen Sie bitte wie folgt vor: Erstellen Sie von dem zu kommentierenden Artikel eine einfache Schwarz-Weiß-Kopie. Diese Kopie bitte einscannen, ausdrucken, handschriftlich Ihre Stellungnahme ergänzen und die Seite versehen mit einigen Beschimpfungen des Verlegers „aufs Fax legen“ und an den Verlag schicken. Hier werden alle Stellungnahmen der Probanden zu Lachsschaum-Creme verarbeitet und mit den Kurieren des Kaisers dem Autor zugestellt. Durch ein auf den ersten Blick einfaches, aber dennoch hochmörderkomplexes alchimistisches Verfahren ist der Autor in der Lage, aus der Lachsschaum-Creme die Essenz Ihrer kritischen Privatmeinung zu den inkriminierten „Stellen“ des Buches heraus zu destillieren. Keiner hat gesagt, dass das Spaß macht, aber es muss ja nun einmal sein, in der heutigen Zeit!

(Quelle: Buch, gutes.)

Achtung: Das ist Ihre "Dienstanweisung Internet".

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Gerald Fricke: Dienstanweisung Internet. So funktionieren Aktenordner, Telefon, Facebook & Co., Verlag Andreas Reiffer, Braunschweig 2012. 

Erscheint im September 2012.

Btte direkt beim Verlag bestellen oder bei Amazon kaufen oder einfach das Internet ausdrucken (empfohlen). Dann die Dienstvereinbarung zur Nutzung des Buchs unterschreiben (zur Personalakte) und eine gefälschte Amazonrezension schreiben, danke!

Die Goldenen Siebziger – Ein notwendiges Wörterbuch

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Vor 15 Jahren, im Juli 1997, ist unser erstes satirisches Wörterbuch erschienen, die Mutter aller komischer Wörterbücher, das Original, der Klassiker, der mit der Goldkante. Das Gute daran: Es ist immer noch alles darin gültig, wie mir der TüV Nord erst neulich bestätigt hat!

Gerald Fricke, Frank Schäfer, Rüdiger Wartusch: Die Goldenen Siebziger. Ein notwendiges Wörterbuch, Reclam-Leipzig 1997.

Zum Geleit

 

Abgestumpft durch die zynischen Achtziger, angeödet und nervös in den Mülltrennungs-Neunzigern, denken wir mit Wehmut an die schönen Tage mit Wicki und Pan Tau zurück; sonnige Nachmittage im Rekordhitze-Heidewaldbrand-Sommer 1975 („Ein Bett im Kornfeld“), an denen wir eigentlich draußen spielen sollten. Den verzweifelten jungen Menschen, die heute mit Schlaghosen umherziehen und billigstem Schlagerrecycling frönen, wollen wir ein bißchen Glanz aus erster Hand über diese Epoche vermitteln. Wir möchten jungen Menschen zeigen, daß es die Lieder der Augsburger Puppenkiste schon lange vor dem Techno-Radau und vor Helmut Kohl schon Bundeskanzler gab, daß es sintemal Zeiten gab, in denen nicht ein biederer Dieter Eilts Star einer Fußball-EM werden konnte, sondern Günter Netzer – und ein Katsche Schwarzenbeck sogar Weltmeister (1974). Denn das ist die Siebziger-Dialektik: Reformpolitik (These) und Radikalenerlaß (Antithese) bedingen ebenso einander wie Netzers Pässe und Katsches Grätschen, wie Neue Subjektivität und Hausfrauenlyrik, Autofreier Sonntag und SPD-Wahlspots, in denen der Autobahnbau als das Signum für Fortschrittlichkeit herhalten mußte. Die große sozialdemokratische Synthese, zugleich Leitmotiv der Autoren, bildet schließlich folgender Satz: „Ich habe nichts gegen lange Haare, aber gepflegt müssen sie sein.“ Oder, mit anderen Worten: Wenn 1968 für die anvisierte Revolution steht, dann markieren die Siebziger den Versuch, die Bahnsteigkarte zu lösen.

Aber auch Ihr, die Ihr damals jung und crazy wart und – aus dem Taschengeldalter heraus – erste Bilanzen zu ziehen beginnt, mal hergehört! Viele Menschen um die Dreißig sind heute Premiere-Abonnenten, tragen geschmacklose Telefone mit sich herum und müssen sich fragen lassen, was sie bloß falsch gemacht haben in ihrem langweiligen Leben. Wir nehmen diese armen Menschen an die Hand und führen sie zurück in ihre Jugend, in die gute alte Zeit.

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Eine allzu rigide Periodisierung tut nicht not; es geht vielmehr darum, die Siebziger als e
in kulturelles Paradigma, als breites Spektrum des gesellschaftlichen Lebens zu begreifen. Es gibt – bei aller Heterogenität – einen ganz spezifischen Siebziger-Stil. Jede amerikanische Polizeiserie, jede Disco-Sendung mit Ilja Richter, jeder Quelle-Katalog läßt sich auch vom ungeübten Betrachter sehr zuverlässig zeitlich einordnen – dergleichen kann man von den folgenden Jahrzehnten schwerlich behaupten.

Entsprechend sind ausnahmslos alle Bereiche des Lebens, in akkurater alphabetischer Ordnung, nachschlagsbereit abgehandelt: Hochkultur (Sex Pistols), Fernsehen (Dalli Dalli), Disco (Kiss), Mode (Haarnetz), Politik (Mao-Paule), Sport (Gold-Rosi), Technik (Jeans-Käfer, Römertopf) und Alltagskultur (Afri-Cola, Lichtorgel, Wohngemeinschaft). Ein junger Mensch schickt sich beispielsweise an, ein Tanzlokal zu beehren, in dem vieldeutig um „angemessene Kleidung“ ersucht wird – Jeansanzug, Gelb-Orange, Breitcord? Und die Konversation (Jägermeister, Pril-Blümchen, Sesamstraße)? Unser junger Freund kann sich auf das Wörterbuch, seinen Ratgeber, verlassen. Unser Dreißiger möchte nicht abseits stehen, er weiß natürlich mehr als der Jungspund, aber er hat auch viel vergessen, er muß bei dem einen oder anderen politischen Thema (Investitionslenkung, Staatsbankrott) nachschlagen. Besonders wurmt es ihn, in einen Siebziger-Diskurs verwickelt zu werden und bei kniffligen Details passen zu müssen: Wie teuer war das Dolomiti genau? Wann stieg der Benzinpreis erstmals über eine Mark? Warum um alles in der Welt trug man eine Herrenhandtasche? Wie rot dürfen Lehrer sein? Was hat uns das heute zu bedeuten? Unser Vademecum weiß die Situation zu entschärfen: Nachgeschaut und der Triumph ist sicher.
Daß hier und da möglicherweise Klischees skizziert werden, die mit der Daseinswirklichkeit einzelner Individuen nur begrenzt übereinstimmen – bon et bien, das liegt in der Natur der Sache. Dennoch meinen wir, daß sich Erinnerungen beispielsweise an die erste Stereokompaktanlage transzendieren lassen. Subjektive Erlebnisse intersubjektiv erfahrbar machen – eine honorige Aufgabe, der wir uns mit festem Willen stellen. Freilich wollen wir unser Lexikon nicht allein auf die Rolle eines Ratgebers – und Freundes – beschränkt wissen: Wir fühlen uns der Aufklärung verpflichtet und entlarven die Rolle der Bewußtseinsindustrie, die mit kaum zu überbietender Schamlosigkeit die Sehnsüchte vieler Menschen ausnutzt und billige Siebziger-Imitate auf den Markt wirft. Nicht mit uns! „Rainer, fahr ab!“

„Wirklich wunderbares Wörterbuch“ (Elmar Krekeler, Die Welt)
„Witzig und pointiert“ (Bunte)
„Sehnsucht nach der gemütlichen Enge“ (Patrick Bahners, FAZ)
„Die notwendigsten Leitbegriffe“ (Die Woche)
„Vergnüglich und gewiß notwendig“ (Frankfurter Allgemeine Magazin, 31.10.1997)
„Gestern Afri, heute Kult“ (Hamburger Abendblatt)
„Witzig-spöttelnd, ernsthaft und polemisch“ (Wochenschau, 1.2.1999)
„Jung und wild, frisch und sexy“ (Sonntagsblatt)
„Suzie Quatro und Meister Propper sind stolz auf Euch!“ (Gunther Schunk, Schmidt Würzburg)

Früher haben wir das „Campus-Wörterbuch“ geschrieben, heute fotografiere ich Wackelpudding, verdammte Regierung!

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Gerald Fricke / Frank Schäfer: Das Campus-Wörterbuch. Der obligatorische Führer von Abitur bis Zwangsexmatrikulation, Eichborn, 1998.

MOBOT, der zahme Roboter, ist stark genug, um Eisenstangen zu biegen. Er kann aber auch mit Laboratoriumsgläsern umgehen!

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„Der erste Roboter“; in: Gerald Fricke / Frank Schäfer: Für alles gibt’s ein Erstes Mal, Hoffmann und Campe, Hamburg, 1999, S. 202.

Warum rebelliert die deutsche Jugend? Experten im Gespräch, 1967

Kleine Vorrede: Wenn ich die neuen „bürgerlichen“ Piratenfans wie Frank Schirrmacher (FAZ), Peter Altmaier (CDU) etc. lese, die in ihrer gut abgehangenen Saulus-Paulus-Transformation dem Internet durchaus, ja doch, und immerhin eine nicht unwichtige Rolle im gesellschaftlichen und politischen Wandel zusprechen (auch wenn wir aufpassen müssen, dass unsere Kinder weiterhin Gedichte auswendig lernen!), dann denke ich mir, hey, so ähnlich hätte Adorno auch 1967 über Jimi Hendrix geschrieben, nur eben total anders. Ihr vesteht was ich meine, ja? 

Vor zehn Jahren, zu Hendrix‘ Sechzigsten, hat Frank Schäfer ein schönes „Tribut to Jimi Hendrix“ bei Schwartzkopf & Schwartkopf herausgegeben. Und ich habe darin kein Wort über Musik gesagt, aber mir allerhand Gedanken darüber gemacht, was die deutsche Geistes-, Politik- und Kulturelite wohl in einer „Gesprächsrunde“ im ZDF-Nachtprogramm zum „Sommer der Liebe“ 1967 und der aufkommenden Protest- und Gegenkultur gesagt hätte, am Vorabend von „’68“, schön Rotwein-halbbesoffen in schwarzweiß, von Pfeifendampf umnebelt, unter der „besonnenen“ Leitung von Günter Gaus.

So, und jetzt die Hausaufgabe: Bitte für „Rockmusik“ immer „Internet“ einsetzen und das Personal aktualisieren, bis auf Günter Grass, der bleibt einfach genau so drin, ok! Merci bien.

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Gerald Fricke: Warum rebelliert die deutsche Jugend? Experten im Gespräch; in: Frank Schäfer (Hg.): A Tribute to Jimi Hendrix, Berlin 2002, S. 45-51. 

Warum rebelliert die deutsche Jugend? Experten im Gespräch / Von Gerald Fricke

Die Sechziger sind schon ein komisches Jahrzehnt, auch und gerade in Westdeutschland. Im Anschluß an den „Sommer der Liebe“ vollzog sich, im Dezember 1967, ein beachtenswertes Stück Fernsehgeschichte. Der große Frankfurter Philosoph und Musikkritiker Theodor Wiesengrund Adorno, Prof. Karl Schiller, Minister und Aushängeschild der Großen Koalition und spätere Superminister unter Willy Brandt (für Wirtschaft und Finanzen), der Politikwissenschaftler Prof. Kurt Sontheimer, der Soziologe Ralf Dahrendorf, der Psychoanalyst Prof. Alexander Mitscherlich, der Schriftsteller, Bildhauer und spätere Literaturnobelpreisträger Günter Grass und, last but not least, Rudi Dutschke, aufstrebender Bürgerschreck, diskutierten zu später Stunde im ZDF über „Jugend und Rebellion im technischen Staat“. Im Rahmen der Sendung „Zur Person“. Eine Sendereihe ohne „Geschwätz“, in der es nur auf das „wirkliche, auf das Wesentliche gebrachte Gespräch“ ankommt, wie die Frankfurter Rundschau anerkennend in der damaligen Zeit schrieb.
Die Gesprächsleitung lag wie immer bei Günter Gaus. „Gaus versteht es“, wir zitieren immer noch die FR, „geschickt, zuweilen auch hartnäckig und bohrend zu fragen, ohne jemals taktlos zu werden. Die Zunge immer spitz, aber nie im Giftfaß.“ Als musikalischer Sachverständiger der Sendung war Bill Ramzey geladen, der den „Jazz nach Hause“ geholt habe, wie Günter Gaus schmunzelnd erläuterte. Leider sollte dieses einzigartige, schwarz-weiße Dokument deutscher Geschichte aufgrund musikalischer Differenzen nie geendet werden. Uns liegt aber eine Abschrift vor.

Die Diskussion drehte sich um Fragen der Rebellion im Inneren und Äußeren. Wir überspringen die ersten zwanzig, dreißig Minuten. In dieser „Warm Up“-Phase versuchten einige Komödianten, heute würde man „Animateure“ sagen, die Diskutanten und das Publikum „aufzuheizen“. Insbesondere von Prof. Adorno wurden diese Versuche als „albern“ und „unangemessen“ zurückgewiesen. In der Aufzeichnung ist zu erkennen, wie Adorno das Gesicht verzieht, zugleich aber Prof. Sontheimer und Günter Grass bei der Mary-Roos-Parodie durchaus fröhlich mitschnippsen. Dann geht es endlich zur Sache. Günter Gaus braucht nur ein Stichwort zu sagen, und schon sticht der Hafer. Aber hören wir selber: Günter Gaus sagt: „Ich brauche wohl nur ein Stichwort zu sagen, Herr Prof. Mitscherlich. Hitler!“.

Prof. Mitscherlich springt natürlich gleich darauf an und führt aus, dass die deutschen Jugendlichen nie einen Hitler erlebt hätten und deshalb trauerten. Unverarbeitete Trauer aber schlage in Wut und Rebellion um. Diese beziehe sich auch auf den „technischen Staat“. Die Unwirtlichkeit unserer Städte trage ein Übriges dazu bei. Prof. Schiller kontert geschickt, „Technik hin oder her“, klar sei, dass jeder Deutsche innerhalb von dreißig Minuten die Autobahn erreichen müsse. Müsse! Ovationen im Publikum. Eins zu Null für die SPD. Nun wendet sich Günter Gaus an Theodor Adorno.

„Herr Prof. Adorno. Rock-Musik als Größe der politischen Sozialisation. Was ist Ihre Meinung dazu?“. Adorno kaut an der Pfeife. Er scheint immer noch empört über die unangemessene Mary-Roos-Parodie zu sein. Da springt ihm Ralf Dahrendorf in die Parade: „Rock-Musik entspringt dem westlichen Modernisierungsschub. Die Nachkriegsjugend sehnt sich nach neuen Lebenskonzepten. Die politische kontrollierte Wirtschaft bietet diese Alternativen in politisch kontrollierter Form an …“ – „Sie meinen“, hakt Gaus nach, „die, sagen wir, Rock-Kultur, ist nicht authentisch, sondern ‚gemacht‘. Da spielen also Kapitalverwertungsinteressen mit hinein?“ – „Ja, das ist alles ein großes Geschäft geworden. Am Anfang waren die Trommeln Afrikas. Dann kam der Jazz. Betrachten Sie nur den Siegeszug des Jazz einmal genauer. Der verlief parallel zu dem des Automobils. Es waren die Fabriken Henry Fords, die ab 1908 das Fahrzeug mit Verbrennungsmotor zur Massenware machten – Fabriken mit Fließband und tayloristischen Methoden. Da wurde ein ganz neues Niveau in der ,Rationalisierung‘, in der Abstraktheit und Messbarkeit von Arbeit erreicht, das bald auf die Produktion anderer Konsumgüter übergriff. Auch die Schallplatte entwickelte sich zur industriell gefertigten Massenware.“

Nun ist auch Adorno hellwach: „Jazzmusik? Negermusik! Der Jazz ist Ware im strikten Sinn. Der Jazz charakterisiert eine Subjektivität, die gegen eine Kollektivmacht aufbegehrt, die sie doch selber ,ist‘; darum erscheint ihr Aufbegehren lächerlich und wird von der Trommel Afrikas niedergeschlagen wie die Synkope von der Zählzeit. Das ,Zerfetzen der Zeit‘ durch die Synkope ist ambivalent. Es ist zugleich Ausdruck der opponierenden Scheinsubjektivität, die gegen das Maß der Zeit aufbegehrt, und der von der objektiven Instanz vorgezeichneten Regression.“ – „Jaja, blabla, das ist doch alles herrschaftsverschleiernd. Wir sprechen hier über Kapitalismus und Faschismus. Die NPD marschiert in die Landtage. Das ist der Kapitalismus heute. Wir sprechen hier über amerikanische Musik und zur gleichen Zeit führen die USA einen Vernichtungskrieg gegen das vietnamesische Volk. Mich interessiert nicht die Musik, mich interessieren diese Zusammenhänge.“ – „Herr Dutschke, Sie sprechen davon, den Kampf um die Befreiung, wie Sie, die Studenten und Ihre Genossen es nennen, in die westlichen Metropolen zu tragen. Nun haben wir aber erlebt, dass in den USA, in San Fransisco die jungen Menschen nicht kämpfen wollen, sondern mit Blumen in den Haaren …“ – „Herr Gaus, e
ntschuldigen Sie, ich lach‘ mich tot.“

Prof. Schiller versucht zu mediatisieren: „Blumen sind doch etwas Schönes, Herr Dutschke, nicht wahr. Wenn Sie mich fragen, ich liebe nicht Deutschland, sondern meine Frau, wie ja auch der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann sagen wird, nicht wahr, und dazu gehören für mich Blumen.“ Prof. Sontheimer ist nun herausgefordert. „Nun, geehrter Herr Kollege Schiller, wenn Sie hier öffentlich über die Möglichkeiten einer sozialliberalen Regierungskoalition nach 1969 spekulieren …“ Prof. Dahrendorf bleibt am Ball: „Sie sprechen über Reformpolitik. Nun, einige junge Leute entziehen sich dem neuen, soliden Wohlstand. Aussteiger. Die Springer-Presse nennt sie Gammler. Lassen Sie mich aber noch kurz einen Gedanken zur populären Musik nachtragen. Die Rock-Musik ist jenes im republikanischen Amerika der 50er Jahre kreierte Medium, das die weißen Jugendlichen von der Zuwendung zu den schwarzen Radios, der schwarzen Musik und damit einer Gegen-Kultur heimholen sollte. Die doppelte kulturelle Sozialisation gebar aus dem schwarzen Blues und der weißen Country-Music …“ – „…den Mulatten Rock n´Roll!“, enragiert sich Adorno.

Bill Ramzey zuckt: „Ick weiß nich, ick weiß nich. Ok, ick bin Pausenclown aus USA. Sackt man so? Onkel Pausenclown aus Amerricka. Ok, ick akzeptiere. Aber was ist mit Elvis Presley? Kein Pausenclown? Kein Retorte? Nickt Körper gewordene Ikone der pubertären Haltung: Stimme, Hair, Styling, Bewegung. Ist das nickt Retorte?“. Rudi Dutschke greift den Gedanken auf: „Fetter Elvis, Sackgesicht, natürlich. Das staatskapitalistische Ziel bei Elvis bestand darin, ihn einzugliedern in das System, bis hin zum Eintritt der Leitfigur in die Armee, der ‚King‘ affimierte so die kapitalistische Kultur. Da muss ich Bill Ramzey Reckt, äh Recht geben.“

Alexander Mitscherlich lässt nicht locker: „Sexualität als Medium der pubertären Ich-Findung war der Motor der Zuwendung, Sexualität war das Mittel der Kontrolle, der Körper ist das Zentrum der Rock-Kultur: nicht die christliche Züchtigung, wohl aber Kastration ohne, äh jetzt hab ich mich …“ Günter Gaus unterbricht: „Lassen wir doch bitte die Kirche im Dorf, Herr Mitscherlich, bzw. das Genitale im Schoß, haha, kommen wir zurück auf die Politik.“ Günter Grass platzt der Geduldsfaden. „Benno Ohnesorg musste sterben, in diesem vermeintlichen Sex-Sommer, damit ein orientalischer Despot in Berlin ungestört seinen Faschismus feiern kann. Und wir sitzen hier wie die Gruppe 47. Ich bin empört über den Verlauf der Auseinandersetzung. Die Notstandsgesetze würde ich niemals durchgehen lassen. Die Espede sollte sich gut überlegen, ob sie wirklich weiter die Regierung eines NSDAP-Mannes stützen soll. Ich beobachte mit großem Interesse das Aufkommen der sogenannten Außerparlamentarischen Oppositionen …“ – Dutschke grunzt: „Ha! Aha!“ – “.. warne aber zugleich davor…“

Prof. Schiller unterbricht: „Nana, Herr Grass. Wir schaffen hier einen modernen Staat, das wissen Sie. Wir brauchen keine amerikanische Rock-Musik, Herr Gaus, Herr Adorno, aber wir können sehr viel von den westlichen Industriestaaten übernehmen. Wir brauchen eine keynesianisch inspirierte Globalsteuerung der Finanzpolitik. Im Rahmen einer konzertierten Aktion. Die Sozialdemokratie in Deutschland ist keine marxistische Glaubensgemeinschaft mehr, nicht wahr, sondern die Kraft für das magische Viereck“ – Prof. Sontheimer wirft ein: „Ad eins: Wirtschaftswachstum, ad zwei Vollbeschäftigung, drittens Geldwertstabilität, viertens außenwirtschaftliches Gleichgewicht.“ „Sehr richtig“, bescheidet Schiller dem vorwitzigen Kollegen, „und ich sage immer: Soviel Markt wie möglich, soviel Staat wie nötig. Von den jungen Leuten höre ich immer: Konzeptalbum. Sgt. Pepper. Progressive Rock. Was soll das?“ – „Ja, auck in der Musik, Improvisation ja, aber konstruktiv muss sie sein!“ wirft Bill Ramzey ein. „Was Sie wollen ist Marschmusik total!“, ereifert sich Dutschke gegen den braven SPD-Professor Sontheimer, der doch gar nichts gesagt hat, „das totale Platzkonzert des Faschismus. Direkt in den Vernichtungskrieg!“ Prof. Sontheimer läuft rot an und verläßt wutschnaubend die Bühne.

„Meine Herren, ‚Rebelllion der Jugend im technischen Staat‘ lautet das Thema unserer heutigen Diskussion. Wir haben jetzt viel gelernt über Rebellion und Jugend, aber leider nur wenig über den technischen Staat.“ Prof. Schiller wird von der Kamera beim Augenverdrehen ertappt. „Ja, 1967 war ein außergewöhnliches Jahr. Bleiben wir bei der Musik. In diesem Jahr gab es ja auch das fantastische Festival in Monterey, mit einem neuen amerikanischen Künstler, Jimi Hendrix, der uns alle … Herr Ramzey, bitte.“

„Ja“, übernimmt Bill das Wort, „Jimi Hendrix begann seine Laufbahn in den fünfziger Jahren als Begleitmusiker für Gruppen wie die Isley Brothers. Aber in den USA fand er kein Publikum für seine Gitarrenspiel und ging daher nach England, wo er sein Sex-Image geradezu zur Karikatur steigerte und einen kommerziellen Gitarren-Stil entwickelte.“ – „Vielen Dank, Herr Ramzey. In Mr. Hendrix, ja, da haben wir den Blues, den Jazz, den Beat, das Indianergeheul, die Gitarre und die Trommel Afrikas. Herr Adorno, Herr Mitscherlich, jetzt zufrieden!“, triumphiert Günter Gaus. So erregt hat man ihn noch nie erlebt.

Alexander Mitscherlich aber lässt sich nicht irritieren. „Sie spielen auf die große Blues-Kontroverse an, Herr Gaus. Sie sagen Hendrix, ich sage ok, aber ich sage noch einen Namen: Eric Clapton, die große weiße Hoffnung.“

Nun bricht sich eine lange angestaute große Empörung Bahn. Tumulte und körperliche Auseinandersetzungen lassen das Studio wackeln. Die Sendung muss schließlich abgebrochen werden und ist bis heute im ZDF-„Giftschrank“ eingemauert. Schade eigentlich.