Webgesellschaft und „action research“

In der Webgesellschafts-Vorlesung haben wir über das Verhältnis von Theorie und Gestaltung der Webgesellschaft gesprochen. Und gefragt, ob wir dazu in der Wirtschaftsinformatik sozialwissenschaftliche Ansätze einer „action research“ verfolgen sollten. Ich meine: ja!

Zunächst haben wir berühmte Beispiele von „Aktionsforschung“ in anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen betrachtet, und Forscher vorgestellt, die sich selber nicht unbedingt als „Aktionsforscher“ bezeichnen würden, die methodisch aber unkonventionell vorgegangen sind, die nicht zwischen Theorie und Praxis unterschieden haben und für einen Paradigmenwechsel in ihrem jeweiligen Fach stehen – wie Theodor W. Adorno (Kritische Theorie), John Maynard Keynes (General Theory) oder Stanley Milgram (1967), dessen Experiment zum Nachweis des „Kleine-Welt-Phänomens“ bis heute als Erklärungsmodell für Vernetzung im Web herangezogen wird.

Das große Wort „Wissenschaft“ haben wir in der Vorlesung ganz allgemein definiert als das Streben nach Erkenntnis – und als das Streben, zu verallgemeinerungsfähigen Aussagen ( = Theorie) zu kommen, die sich intersubjektiv überprüfen lassen. Der Sozialpsychologe Kurt Lewin (1946) prägte den Begriff der „action research“. Eine Aktionsforschung soll mit ihrem expliziten Handlungsgebot ein Gegenentwurf zu einer „verantwortungslosen“ Wissenschaft sein und die Entfremdung von Theorie und Praxis aufheben.

Drei wissenschaftstheoretische Positionen haben wir unterschieden: Normativ-ontologisch, kritisch-dialektisch und empirisch-analytisch (vgl. Böhret et al. 1988). Und wir haben gefragt, ob wir die Debatte zwischen positivistischen und postmodernen Forschern auf die Wirtschaftsinformatik übertragen können. Diese metatheoretische (Selbst-)Reflexion im Forschungsprozess meint unter anderem die Selbstbeobachtung der eigenen Prämissen und die Bewusstwerdung der normativen Dimension der Paradigmen und der wissenschaftlichen Tradition. Da sagen wir wieder: ja!

Warum das alles? Wir meinen, dass wir als Forscher die Transformation zur Webgesellschaft nicht ausschließlich von einem externen Standort untersuchen (können), sondern diesen Übergang tatsächlich auch selber schreiben – indem wir beispielsweise durch unsere Aktivitäten im „sozialen Web“ den Wandel des gesellschaftlichen Leitmediums voran treiben. Diese Transformation hat bedeutende Auswirkungen auf die Politik und die Demokratie und die Unternehmen, wie noch zu zeigen ist. Mit diesen Herausforderungen können wir am besten umgehen, wenn wir die Geschichte einer neuen Kooperation in der Webgesellschaft erzählen, so meinen wir.

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Gerald Fricke

Literatur

  • Böhret, Carl/Jann, Werner/Kronenwett, Eva, 1988: Innenpolitik und politische Theorie, 3. Aufl., Opladen
  • Frank, Ulrich/Klein, Stefan/Krcmar, Helmut/Teubner, Alexander, 1998: Aktionsforschung in der WI – Einsatzpotentiale und –probleme; in:  Wirtschaftsinformatik und Wissenschaftstheorie. Grundpositionen und Theoriekerne. Arbeitsberichte des Instituts für Produktion und Industrielles Informationsmanagement. Nr. 4. Hrsg.: Schütte, R.; Siedentopf, J.; Zelewski, S., Essen 1998, S. 71-90. Online: http://www.soziologie.uni-kiel.de/bergermeth1/Meth1_T13_Frank_Aktionsforschung_in_der_WI_1998.pdf
  • Lewin, Kurt, 1946: Action Research and Minority Problems. In: Journal of Social Issues. 4/1946, S. 34-46; Quelle zitiert nach: Frank, Ulrich et al. 1998
  • Milgram, Stanley, 1967: The Small World Problem. In: Psychology Today, Mai 1967, S. 60–67